• Der Zündschlüssel

Gut zu wissen, wo er ist.

In welcher Beziehung steht der Motorrad-Zündschlüssel zu einer Regenfahrt? Ein Wochend-Trip mit der Kawasaki 1000 GTR von Köln nach Metz/Frankreich führte mich quer durch die schöne und oft sonnige Eifel. Im Folgenden beschreibe ich einen besonderen Moment im Leben eines Motorradfahrers.

 

Im Rückspiegel sehe ich noch die Sonne, wie sie ein warmes Licht auf die kurvigen Eifelstraßen wirft. Vor mir allerdings sieht es leider nach einem kleinen Wölkchen aus, dass sich nur mal eben abregnen will, um nach kurzer Schauertätigkeit den Drehzahlmesser wieder vernünftig arbeiten zu lassen. Ich motiviere mich mit der Überzeugung, dass das eigentlich kein Regen ist, sondern nur grober Nebel. Die Lederkombi wird an Schultern dezent feucht. Egal, das Wölkchen regnet sich schnell ab, denke ich.

 

Falsch gedacht, die Ansammlung kondensierter Wassermoleküle will zu mir. Nur zu mir. Die entgegenkommenden Kumpel sind alle trocken. Komisch, ich sollte mir trotzdem besser die Regenpelle Überziehen, ein Geschenk eines Redaktionskollegen. Sie passt gerade so ohne Brieftasche in der Jacke, is aber wat eng im Schritt. Dafür leuchtet sie schön schrill in alarmorange und erdnussblau, was der Sicherheit im Dunkeln sehr entgegenkommt. Die Tröpfchen, die das sich mal eben abregnende Wölkchen für mich auf Lager hat, werden langsam größer. Egal, die paar Kilometer zum Zwischenstopp am Nürburgring schaffe ich noch so eben, denke ich. Die Eifel ist nass, ich auch. Die nächste Tankstelle soll meine sein, nehme ich mir vor. Während der aufkommende Sturm kräftig an meinen Nerven zerrt und die H2O-Kügelchen auch böse von der Seite einwirken, sehne ich mich nach einem Schutz bietenden Ort zum Anlegen der Schutzbekleidung. Statt einer Tankstelle oder Brücke kommt eine weitere Wolke hinzu.

 

One-Man-Show am Straßenrand

 

Der Navigator, eine alte Straßenkarte im undichten Klarsichtfach des Tankrucksacks, wird langsam wellig. Meine Haut vermutlich bald auch, jetzt wäre Neopren das eher geeignete Material am Leib als Leder. Ich beschließe aus zwingender Notwendigkeit einen Spontanmaßnahme und halte genervt auf einer geraden Landstraße an. Unmittelbar auf dem schmalen, lehmigen Seitenstreifen. Ich steige ab und versinke stante pede knöcheltief im angrenzenden Acker, während ich den rechten Koffer öffne. Da ich für die Wochenend-Tour pure Sonne erwartete, liegt der begehrte Regenschutz ganz unten in einer im Koffer befindlichen Sporttasche, die ich bei mittlerweile prasselndem Regen auf der Sitzbank öffne und hektisch durchwühle.

 

Mit tropfenden Haaren ziehe ich den Klettverschluss des Anzugs auseinander, der immer wieder irgendwo zusammenklettet. Dann den Reißverschluss. Mit den Socken seitlich im geöffneten Stiefelschaft stehend, zwänge ich mich gut angequollen in den Einteiler. Nasses Leder in diese Pelle zu stopfen erfordert mehr Energie als im trockenen Zustand, weil der Reißverschluss an Oberarmen und Schultern fest hängt. Mit nach hinten abstehenden Armen führe ich, voll der Vorfreude auf eine weiterhin trockene Genitalregion, einen wilden Tanz auf, um mich endlich vollständig in die Regenkombi zu zwängen.

 

Wasser sucht sich immer einen Weg. Um die Flüssigkeitseinsickerung ins ’Kellergewölbe’ zu verhindern, lassen sich manche Reißverschlüsse nur bis Gürtelhöhe öffnen. Zweiteilige Kombis erlauben einen bequemeren Einstieg, lassen dafür aber die Lederhose nach der Regenfahrt aussehnen, als läge die Quelle der Feuchtigkeit im Inneren der Kradbekleidung. Der Allwetter-Biker hat also die Wahl zwischen unpraktischer Handhabung oder nassen Familienjuwelen.

 

Die an mir vorbei fahrenden Verkehrsteilnehmer blicken für einen Moment auf ein unbekanntes Wesen am Wegesrand, schlecht gekleidet, in ungewöhnlicher Körperhaltung und seltsame Bewegungen ausführend. Im Moment absoluter Hilflosigkeit donnert ein 40-Tonner an mir vorbei, nebelt mich ein und bläst meine Sporttasche vom Sitz, die, mit aufgeklappter Lasche und Öffnung nach unten, auf dem Acker landet. Während sich meine frischen Hemden und Unterhosen mit lehmig-brauner Flüssigkeit voll saugen, liege ich mit meinem Regentanz in den letzten Zügen.

 

Die Konzentration bleibt auf der Strecke

 

Reiß- und Klettverschluss nun endlich schließen zu können, gibt mir ein wenig das Gefühl von Geborgenheit. Ich rette die Wäsche vor weiterer Infiltration von Gülle haltigen Agrarsubstanzen, frottiere mit einem T-Shirt den groben Wasseranteil aus den Haare und ziehe sofort Sturmhaube und Helm über. Dann noch schnell den Tankrucksack eintüten und gegen den Widerstand der sich am Rücken spannenden Plastikhaut bücken, um die leuchtfarbenen Regenstiefel, mit schwer schließbaren Plastikdruckknöpfen und verfusseltem Klettverschluss, mit nasskalter Hand zu montieren. Auch geschafft. Der Regen ist verbannt, mir wird es langsam nahezu unerträglich warm, die Regenpelle funktioniert sich selbst zum Saunaanzug um. Ich dampfe vor mich hin, das Bild eines mobilen Schnellkochtopfes entsteht in mir. Essen auf Rädern – mein Verstand verliert den Bezug zur Realität.

 

Die nassen Hände wollen nur unwillig in die klammen Winterhandschuhe. Wie der Schaltfuß, will auch die Gashand im Trockenen arbeiten. Also schnell noch die schicken, schrill leuchtenden Plastikfäustlinge über die bereits hygroskopisch kontaminierten Handschuhe frickeln. Die Wühltischware mit an den Handinnenflächen versehenen Wildlederapplikationen, bietet Platz für jeweils ein Pfund Kartoffeln, lässt aber einfaches Hineinschlüpfen nur bedingt zu. Den Ersten überzuziehen klappt ja noch ganz gut, doch den Zweiten mit nur einem Daumen ohne weitere Greifwerkzeuge an der Stulpe komplett hochzuziehen, ist eine absolute Nerverei. Endlich am Mann, ist mit diesen Tüten gefühlvolle Schalterarbeit unmöglich.

 

Aufsitzen, froh sein und Eigenlob aussprechen. Diese Roadside-Action hinter mir zu haben, bringt spontane Entspannung in die Angelegenheit. Geil, einmal drin in der Pelle könnte ich auch bis nach Metz durchfahren, am Nürburgring ist eh nix los bei dem Wetter. Jetzt noch den Motor anschmeißen und ab.

 

Wo ist der Zündschlüssel???

 

NEEIIINN!!! So eine Affenkotze! Den verkackten Schlüssel habe ich nach Aufschließen des Koffers in die Lederkombihosentasche gesteckt und später dann den Koffer nicht mehr verschlossen. Ich kann den Schlüssel durch die Regenkombi fühlen. Meine Schläfen pochen, der Kragen wird eng. Es gibt nun zwei Möglichkeiten an den begehrten Starthelfer zu kommen. Im Tankrucksack befindet sich mein Leatherman Tool, ich könnte den Regenanzug aufschneiden. Der Schlüssel wäre schnell geborgen, ich aber leider undicht.

 

Es folgt eine gefühlte halbe Stunde voller verkrampfter Bewegungsabläufe, begleitet von lautem Aussprechen des übelsten Vokabulars, welches mir in den Sinn kommt. An die zweite Hälfte des Ankleidevorgangs erinnert Ihr Euch noch, also erspare ich mir die Wiederholung dieses für mich unwürdigen Vorgangs am Ackerrand.

 

Endlich sitze ich denn wieder auf der Kawa, starte den Motor mit gefühllosem Daumen und biege an der nächsten Kreuzung Richtung Luxemburg ab. Gut verpackt genieße ich den dünner werdenden Eifel-Regen, der mich keine 20 Kilometer mehr begleitet. Die Sonne schiebt plötzlich die Wolken beiseite und schickt den Regen von dampfendem Asphalt wieder in den Himmel, um mich auf der Rückfahrt damit wieder erfreuen zu können. Prima, es kommt keine Feuchtigkeit mehr rein, aber auch nicht mehr heraus. Wasserdicht verpackt erreiche ich Metz bei bestem Biker-Wetter.

 

Frisch geduscht verlasse ich das Hotel de Metz, gehe zielstrebig ins Café Bleu, bestelle mir erstmal ein großes Bier und sorge somit für eine solide Innenbefeuchtung auf freiwilliger Basis.

 

Frank R. Weihs



frw - 16.05.2017