• Der Biker-Gruß
Den Gruß unter Kradfahrern gibt es so lange, wie es motorisierte Zweiräder gibt. Als ich 1973 meinen Führerschein Klasse 1 machte, war es eine Selbstverständlichkeit, die Kollegen, und falls auf Achse auch die Kolleginnen, mit belederter Hand zu grüßen.
In der Stadt war und ist die brüderliche Geste mir ganzer Hand locker abgewunken, wenn die Motorradfahrer nicht gerade sehr zahlreich des Weges kommen. Es könnte ein Tennisarm entstehen infolge Überbeanspruchung des Ellbogengelenks entstehen. Das Fernreise-Feeling und damit die gefühlte Verbundenheit zum kontradirektionalen Verkehr, ist auf den Bundesstraßen größer als im Blech-Dschungel und der Winddruck an ausgestreckter Hand ist auch noch erträglich. In Kurven dominiert dann die Fahrdynamik vor ausgiebiger Freundlichkeit, so werden denn, je nach Schräglage, maximal zwei Fingerchen geliftet.
Voll bepackte Kilometerfresser kugeln sich gern mal auf der Autobahn den Arm aus und stemmen die Hand in den Wind um Ihresgleichen gebührend zu grüßen. Leichte Unterschiede in der Winkmotorik des Entgegenkommenden sind oft abhängig vom Kaufpreis und/oder vom Hubraum der eigenen Maschine.
Während der pubertierende Kleinkraftradpilot der 70er Jahre respektvoll den Gruß anbot, lupfte der Big-Biker lässig, wenn überhaupt, einen bis höchstens zwei Kupplungsfinger. Die Fahrer der heutigen Kultschüsseln wie Vespa, Heinkel, Zündapp und Co. blieben ungegrüßt auf der Strecke. Auch heute werden die Piloten der rollenden Plastikwannen zwischen 125 und 650 ccm nicht als Biker angesehen und grußtechnisch meistens übergangen.
Das war schon immer so
Den Gashahn fest im Griff, reiche ich immer noch meinen Kollegen die Hand zum Gruß. Aber warum grüßen wir uns eigentlich? „Das machen wir schon immer so“, sagt ein großer Teil der gut eingesessenen Kradfahrer. Es ist ja auch ’ne nette Geste und beinhaltet eine gewisse Verbundenheit untereinander. Denn besonders bei einer Panne freut sich der Betroffene am Straßenrand, wenn er Hilfe bekommt.
Und wie ist die Realität? Auf Fernreisen ist der Gruß eine Selbstverständlichkeit. Bei sonnigem Wetter und je nach dem Beliebtheitsgrad der befahrenen Strecke, sowie in der City, winkt man sich als grußwilliger Kraftradler in der warmen Jahreszeit einen Wolf, also bleibt die Hand oft an der Kupplung. Ein Großteil der Sympathiebekundungen wäre dann unreflektiert in den Wind gedrückt.
Die Rollerfahrer zum Beispiel werden von echten Bikern generell nicht ernst genommen. Das Thema Motorroller kam mir, Mitte der 90er, eher zufällig unter den Hintern. Als freier Mitarbeiter einer Motorradredaktion, war ich mit den verschiedensten Fahrzeugen unterwegs. Eines Tages waren alle „Leckerbissen“ mit den Kollegen unterwegs, nur eine 125er Vespa ET-4 stand noch auf dem Parkplatz. Warum nicht, mal was Anderes, ich wollte eh in die City. Im Zentrum einer großen Stadt gibt es viele Parkplätze, doch da stehen immer schon Autos drauf.
Während meiner ersten Runde auf der Vespa grüßte ich reflexartig den ersten, mir entgegen kommenden Motorradfahrer und wurde brutal ignoriert. Ich hab’s denn zum Spaß noch ein paar Mal probiert – nix. Nach und nach habe ich noch einige Jahre der Erfahrung des Absitzens auf Röllerchen aller Hubraum-Varianten genossen. War nicht übel und besonders innerorts sehr zweckmäßig – Helm und Jacke untern Sitz und los.
Geduldig sitzend nahm ich oft schmerzhaft zur Kenntnis, wie der Kilometerzähler, mit stoischer Gelassenheit, langsam über die Runden krebste und sich das abzuspulende Asphaltband extrem in die Länge zog. Ich denke, dass ich genügend Profil abgerubbelt habe, um mir einen realistischen Eindruck zu verschaffen, wie sich Fahrer großer Maschinen auf diesen „kleinen Schüsseln“ fühlen. Obwohl einige Modelle der oft als Rentnerschaukeln bezeichneten Roller, die Dimension von Motorrädern der oberen Mittelklasse haben.
Eine Spur, zwei Welten
Für die Roller fahrende Gemeinschaft der motorisierten Zweiradfahrer, ist dieser bei mehreren Generationen von Motorradfahrern kulturell verwurzelte Brauch eher unüblich. Vereinzelte Winkereien unter Schüsselsitzern werden gelegentlich beobachtet, besonders auf großer Tour.
Ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter Gleichgesinnten ist auch bei dieser Spezies nachvollziehbar, doch ich setze meine Energie eher selektiv ein. Roller, besonders die Achtel-Liter-Klasse, gibt es zuhauf auf unseren Straßen. Die Fahrradwegbenutzer mit Versicherungskennzeichen lasse ich mal außen vor, die leben eh in einer anderen Welt.
Zeitweise sehe ich den Gruß unter uns vom Wetter gegerbten Kradfahrern, als eine vielleicht aussterbende Geste an. Diese Empfindung entsteht ganz besonders durch die in Froschhaltung sitzenden Sportfahrer, die zusammengefaltet auf bunten Hochleistungstriebwerken klemmen und unter Missachtung der Verkehrsregeln, mit scharfer Fahrweise Gummiwürstchen an den Reifenflanken produzieren.
Erhebt denn ein netter Rollerpilot die Hand zum Gruß, wird er schlicht ignoriert. Also vom Biker. Was will der Pimpf. Die Zeiten ändern sich, und so auch das Winkverhalten. Die Fahrer drehzahlgeiler Asphaltfräsen mit ABS, TCS, elektronisch geregelter Dämpfung und Fahrdynamik, pflegen diese Tradition heute deutlich weniger als zu Zeiten von R75/5, CB 750, Desmo Duke 900SS und V7 Sport. Außerdem raubt der Grußvorgangs die Konzentration auf die Ideallinie, so besteht eine erhebliche Gefahr der Veränderung des Kurvenradius während des Winkens.
Nicht zu vergessen ist die Jahreszeit. Wer nach dem Winterschlaf endlich wieder auf Achse ist, der freut sich auch wieder im Sattel zu sitzen und zeigt seine Freude den Kradkumpels mit erhobener Hand.
Wer an der roten Ampel grüßt, ruiniert eventuell sein Getriebe beim Einlegen des ersten Ganges, wenn er zu spät wieder an die Kupplung kommt. Obendrein kann der sportlich ambitionierte Fahrer dann auch nicht schnell genug zwischen den Autos rausballern, durch die er sich vorher hindurchgezwängt hatte. Die Geste der Freundlichkeit kann den effektiven Fahrspaß mindern.
Die Dynamik des Grüßens überträgt sich auf
das Fahrzeug
Ein sonniger Mopped-Sommer auf der ferner Landstraße verleitet den klassischen Biker schon eher zum Gruß der oft voll bepackten Reisegenossen. Die Stimmung ist gut, am Abend der ersten Etappe wartet ein kühles Bierle, so wird voller Vorfreude der Gruß erwidert. Bei überschwänglicher Aktivität des Kupplungsarmes kann schon mal das Fahrwerk des Reisenden, wie in guten alten Zeiten der verwindungsstarken Doppelschleifenrohrrahmen, schlingern wie ein Reptilienschwanz. Ab 100 Km/h aufwärts wird der ausgiebige Gruß zum sportlichen Ereignis, Energie sparend überbringen dann aus Sicherheitsgründen die beiden locker angehobenen Kupplungsfinger die Botschaft der Sympathie.
Irgendwann des Winkens recht müde geworden, kam mir schon mal der Gedanke, einen halbautomatischen Lenker-Winkie am Motorrad-Lenker zu installieren. Dieser sollte schnell gebastelt sein, wenn ich mich dazu durchringe. Eine Stahlschelle, eine kurze Schraubfeder, ein dem Kollegen geklautes Holz- oder Stahllineal, ein alter mit Bauschaum aufgepumpter Krad-Handschuh und schon ist der Permanentgrüßer fertig. Es sollte schon ein Linker Handschuh sein, sonst sähe der Gruß für den Entgegenkommenden recht befremdlich aus. Alles fest miteinander verzwirbeln und verschrauben – fertig. Nun kann kommen wer will, mit diesem Winkie am Lenker wird jeder gegrüßt.
Der Fahrer kann sich wieder voll auf Verkehr und Landschaft konzentrieren und erreicht deutlich entspannter sein Ziel. Doch nun muss ich mal wieder abwinken, denn für mich als Gelegenheitsfahrer rollender Chemikalien-Toiletten, ist der Gruß eh hinfällig. Burgman, Atlantic und Co. Fahrer haben mich auf dem 125er grundsätzlich übersehen. Und wenn ich mal stolzer Fahrer eines Rollers der 400er bis 650er Klasse war (grins), fühlte ich mich nur unwillig wie einer von denen. Ich sehe in diesem Fall einfach nur den Nutzen, die praktische Anwendung dieser Fahrzeuge. Egal auf welchem Radl ich Fliegen fange werde, ich sollte mir definitiv einen Lenker-Winkie basteln.
Frank R. Weihs
frw - 16.05.2017